Aktion und Reaktion - vedantische Psychologie: das Leben als Rollenspiel

Aktion und Reaktion

(Im Original: Action and Reaction)
Vortrag von Swami Dayananda Saraswati (Übersetzung aus dem Englischen von F.R.)

Das Leben ist ein Rollenspiel

Aktion und Reaktion, so kennen wir das aus der Physik, sind beide gleich groß und entgegengesetzt. Du kannst nicht gegen etwas reiben, ohne dass dabei auch an dir gerieben wird. Im folgenden schaue ich auf diese beiden Begriffe mit Bezug auf deine Antwort auf die Welt.

Leben beinhaltet immer Beziehungen

Ob du es möchtest oder nicht, du kannst es nicht vermeiden, dich zu beziehen. Und du musst auf die Anforderungen der Welt antworten. Notwendigerweise musst du mit der Welt eine Beziehung eingehen, um dein Leben zu leben; du musst dies nicht tun, um einfach nur am Leben zu sein. Wenn du im Tiefschlaf bist, bist du am Leben, aber beziehst dich nicht zur Welt; tatsächlich gibt es im Tiefschlaf keine Welt für dich. Es gibt dort deshalb keine Beziehung, keine Erinnerungen, keine Probleme, die dich in irgendeiner Weise betreffen. Du bist einfach am Leben; du existierst einfach. Du kannst sogar im Koma existieren, ohne dich auf die Welt zu beziehen. Man kann jemanden mit entsprechenden Hilfsapparaturen über Jahre im Koma am Leben erhalten. Aber das heisst nicht „sein Leben leben“. Um wirklich dein Leben zu leben, musst du mit der Welt in Beziehung treten.

Jede Beziehung braucht zwei Faktoren: Einer davon bist du, die Person, die sich bezieht auf etwas, und das zweite ist das, auf was du dich beziehst, sei es eine gegebene Situation oder eine Person. Der zweite Faktor ist variabel: Das worauf du dich beziehst, verändert sich ständig. Die Situation, auf die du dich beziehst, ist in ständiger Bewegung, und die Veränderung kann auch total sein. Jetzt siehst du Feuer, und gleich darauf einen Fluss, zwei völlig verschiedene Dinge in der Natur. Du triffst deinen Vater und gleich darauf deinen Sohn. Das Objekt hat gewechselt, der Sohn hat den Vater ersetzt. Bei den Sinneswahrnehmungen, Form, Geruch, Geräusch, Berührung oder Geschmack, wechseln ständig die Objekte, die du wahrnimmst. So verändert sich die Welt, die du erlebst, unaufhörlich, während du, derjenige, der sie erlebt, unverändert bleibt.

Was bleibt ist „Du“

Derjenige, der eine Form sieht, ist derselbe, der ein Geräusch hört. Derjenige, der gerade gesehen oder gehört hat, ist derselbe, der jetzt mit jemandem spricht. Wir sehen also: „Du“, die Person, bleibt dieselbe, während die Objekte dauernd wechseln. Deshalb können wir sagen, dass von den beiden Faktoren, die in Beziehungen involviert sind, der eine variabel und der andere, also derjenige, der in Beziehung geht, unveränderlich ist. Du bleibst die gleiche Person, egal ob du dich auf den Vater oder den Sohn beziehst, auf einen Onkel oder Ehemann, auf Freunde oder Feinde, auf einen Arbeitgeber oder einen Angestellten. Du bleibst derselbe, egal ob du siehst oder hörst, gehst oder sprichst, singst oder an etwas riechst.

Das trifft auch für die geistigen Aktivitäten zu: Derjenige der zweifelt ist derselbe wie der, der Entscheidungen trifft; derjenige der liebt ist derselbe der hasst; derjenige der sich liebevoll kümmert ist derjenige, der sich im nächsten Moment grausam verhält. Aber die Person ist unveränderlich, und das bist du.

Der unveränderliche Faktor

Lass uns dieses unveränderliche „Du“ genauer betrachten. Ist es völlig unveränderlich? Dem scheint nicht so, denn anscheinend gibt es so etwas wie einen variablen Status auch für die Person, die in Beziehung geht, also das Subjekt.

 Abhängig davon, mit wem oder was sie in Beziehung tritt, scheint sich dieser Status zu verändern. Wenn du dich auf deinen Vater beziehst, sei es gedanklich oder über die Wahrnehmung, dann bist du ein Sohn. Und wenn du dich auf deinen Sohn beziehst, dann bist du nicht mehr die Person von eben, also der Sohn, sondern jetzt bist du ein Vater. Du veränderst dich also. Das Subjekt „Ich“, das in Beziehung zum Vater ein Sohn gewesen war, hat sich verändert und wurde jetzt in Beziehung zum Sohn ein Vater. Die Person „Ich“ ist immer noch da, aber er oder sie hat nun einen anderen Status. Zur Schwester ist das „Ich“ ein Bruder, zur Ehefrau ein Ehemann, für den Studenten ist das „Ich“ ein Lehrer und bezüglich des Lehrers ist das „Ich“ ein Student. Wegen der jeweiligen Beziehung verändert sich also auch das „Ich“. 

Die Verbindung

Die Veränderung, die das „Ich“ erfährt, ist nicht so vollständig, wie es bei den Objekten der Fall ist, mit dem es in Beziehung geht. Bei den Objekten kann es zum Beispiel eine Form sein, die zunächst wahrgenommen wird, die vollständig ersetzt wird durch einen Ton, der jetzt gehört wird. Das Objekt kann auch ein Freund sein, der vollständig ersetzt wird durch jemand anderen, etwa einen Fremden, also durch das genaue Gegenteil. Da gibt es etwas das ich mag und etwas, was ich vielleicht nicht mag. Insofern verändert sich das Objekt vollständig, wobei das Subjekt „Ich“ nicht völlig durch etwas anderes ersetzt wird. Wenn dem so wäre, wenn das „Ich“ ein völlig anderes wäre, dann gäbe es überhaupt keine Kontinuität. Das Vater-Ich wird also durch das Sohn-Ich ersetzt, aber das „Ich“ ist nicht völlig ausgetauscht. Wenn es total ausgetauscht wäre, dann gäbe es im Prinzip weder Vater noch Sohn, weil derjenige, der in Beziehung zum Sohn da war, verschwunden wäre. Und der Neue, der jetzt anstelle von ihm auftreten würde, hätte keine Beziehung zum Vater von vorher. Es muss also einen unveränderlichen Faktor beim Subjekt geben, denn sonst wäre zwischen den beiden Erfahrungen keinerlei Verbindung, kein roter Faden da.

Daher verändert sich das Subjekt zwar in Beziehung zum Objekt, aber die Veränderung ist nicht vollständig; sie ist unwesentlich und nur teilweise. 

Diese teilweise Veränderung im Subjekt „Ich“ scheint keine Spur im „Ich“ zu hinterlassen. Stell dir vor, während du mit deiner Schwester redest, kommt deine Ehefrau daher und du fängst an, mit ihr zu sprechen. Wenn du dich jetzt auf deine Frau beziehst, verschwindet der Bruder von vorher vollständig, während der Ehemann seinen Platz eingenommen hat. Du bist aber auf alle Fälle immer noch da, wie du weisst, denn derjenige, der der Bruder war, ist derselbe, der jetzt der Ehemann ist. Gleichzeitig hinterlässt die vorherige Rolle keine Spur bei dir, dem Subjekt. Insgesamt bist du deshalb in der Lage, eine neue Rolle anzunehmen, ohne eine Veränderung auf deiner Seite zu erleiden. Hier können wir eine grundlegende Tatsache in Bezug auf das Leben erkennen. Es zeigt eine erstaunliche Fähigkeit, sich zu verändern, wenn man zu etwas oder jemandem in Beziehung tritt, ohne dass im Wesen eine Veränderung geschieht. Es ist diese Fähigkeit, die deinem Leben Frische und Freiheit gibt. Wenn du diese Tatsache nicht vollständig begreifst, dann hat das tragische Folgen, und dein Leben wird zum Elend.

In Bezug zu einer bestimmten Situation unterliegt der unveränderliche Faktor „Ich“ einer scheinbaren Veränderung. Kommst du mit einem Objekt in Verbindung, das dir gefällt, wirst du zu einem, der etwas mag.  Im nächsten Moment, wenn du mit einem Objekt in Kontakt kommst, das dir zuwider ist, wirst du sofort zu einem, der Ablehnung verspürt. In beiden Situationen ist das „Ich“ sehr wohl präsent. Dieses „Ich“ ist unveränderlich und ist deshalb weder derjenige, der etwas mag, noch derjenige, der etwas ablehnt. Kannst du das sehen? Wenn du weisst, dass das wahr ist, dann hast du Lebensweisheit und kannst dein Leben meistern. 

Leben heisst Rollenspiel

In allen Situationen ist also ein „Ich“ präsent, das scheinbare Veränderungen durchläuft, und wir können darauf schauen wie auf einen Schauspieler, der verschiedene Rollen einnimmt. Lass uns mal annehmen, in einem Stück gebe es einen Schauspieler A, der die Rolle eines Bettlers B einnimmt, der der Held des Stückes ist. Natürlicherweise bekommt er eine Menge Geld für die Rolle des Bettlers, weil er die Rolle sehr gut spielt. Er hat die Angewohnheiten und Verhaltensweisen von vielen Bettlern beim Betteln auf der Straße studiert. (Zusätzlich läuft Musik im Hintergrund, um den Ausdruck der Gefühle des Bettlers zu unterstreichen, was ein wirklicher Bettler auf der Straße nicht zur Verfügung hat.) Der Schauspieler A ist deshalb auf der Bühne ein sehr erfolgreicher Bettler. Die Leute beleidigen ihn, spucken auf ihn, aber er nimmt das alles hin ohne zu protestieren. Manche geben ihm Almosen, was er mit einem Lächeln nimmt. Manchmal weint er, und er ist ein so großartiger Schauspieler, dass er wie auf Kommando echte Tränen hervorbringen kann. Er macht verschiedene Erfahrungen, angenehm und schmerzlich, freudvoll und tragisch. Betreffen diese Erfahrungen den Schauspieler A? Ist er betroffen von den Problemen, die zur Rolle B gehören? Nein. Selbst wenn er Tränen vergiesst, ist er sich bewusst, dass er eine Rolle spielt. In seinem Inneren ist er sogar glücklich, weil er die Rolle so ausgezeichnet spielt. Dies ist möglich, weil er sich an keiner Stelle in der Rolle verloren hat; er ist sich seiner selbst bewusst.

Rolle und Reaktion

Lass uns aber stattdessen einmal annehmen, dass der Schauspieler von seiner Rolle weggetragen wird, und denkt, er sei wirklich ein Bettler. Dann schauspielert er nicht mehr länger; sein Handeln wird zur Reaktion. Nehmen wir weiter an, es gebe einen Schurken in dem Stück und es gebe eine Begegnung zwischen den beiden Charakteren, dem Bettler und dem Schurken. Die Rolle sieht vor, dass der Schurke den Bettler schlägt, der es ohne Gegenwehr hinnehmen soll. Aber der Bettler vergisst, dass er eine Rolle spielt, schlägt zurück und verletzt den Schurken. 

Es war nicht geplant, dass er den Schurken bestraft; so stand es nicht im Skript. Der Vorhang fällt und das Stück wird mittendrin gestoppt. Der Direktor kommt und verlangt eine Erklärung von dem Schauspieler, und der Bettler sagt: „Ich habe ihn geschlagen, weil er mich geschlagen hat. Wie kann er mich denn schlagen?“ Sein Zurückschlagen ist eine Reaktion; irgendetwas ist mit ihm passiert. Er hat in diesem Moment vergessen, dass er ein Schauspieler ist, der eine Rolle spielt. Normalerweise sind die Probleme der Rolle auf die Rolle beschränkt. Sie betreffen nicht den Schauspieler. Herr A, der Schauspieler, identifiziert sich nicht mit den Problemen des Bettlers B. Das heisst, da ist eine Distanz zwischen B und A, weshalb die Probleme von Bettler B Herrn A nicht betreffen. Gibt es eine physische Distanz zwischen den beiden? Nein. Die Nase von B ist die Nase von A. Die Augen von B sind die von A. Der Körper von B ist der Körper von A und der Verstand von B ist ebenfalls der von A. B hat keinen unabhängigen Status. Er hat keine selbständige Existenz. B hat kein „Ich“, das ihm selbst gehört. B hat keinen eigenen Atman. Deshalb ist B identisch mit A. Heisst das, dass die Probleme von B auch A’s Probleme sind? Das kann nur der Fall sein, wenn B gleich A ist und A gleich B. Die Probleme des einen würden zu den Problemen des anderen werden. Aber hier ist die Rolle B gleich A, aber A ist nicht gleich B.

B ist gleich A, aber A ist nicht gleich B

Die Tatsache, dass A nicht B ist, kommt nicht nur dann zum Tragen, wenn die Rolle B nach dem Stück abgelegt wird. A ist nicht B, sogar während er die Rolle B spielt. Das muss klar verstanden werden. Dies nennt man jnanam, Wissen. Der Schauspieler A muss die Rolle B nicht aufgeben, um A zu sein. Etwas Ähnliches geschieht vielleicht im Tiefschlaf oder im Koma, wo wir unsere Rollen völlig loslassen, aber nicht im wirklichen Leben. Das Leben ist durch Beziehungen gekennzeichnet. Wenn A nicht B ist, warum sollte es nötig sein, B aufzugeben, um A zu sein? Tatsächlich sollte A sogar in der Lage sein, von B zu C zu wechseln, von C zu D und so weiter; und dabei bleibt er immer A.

Jetzt können wir klar verstehen, dass während B identisch ist mit A, A nicht identisch mit B ist. A ist von den Problemen von B nicht betroffen, weil A sich der Tatsache bewusst ist, dass A die Rolle B spielt. Er verliert nicht das Bewusstsein seiner selbst, sogar wenn er total identifiziert mit der Rolle ist. Wenn A seine Rolle spielt und dabei das Bewusstsein seiner selbst ganz klar behält, dann ist dies reine Aktion und keine Reaktion.

Rollen können nicht vermieden werden

Während die Rolle B ganz und gar vom Schauspieler A abhängt, ist A unabhängig von B. Dies ist keine gewöhnliche Tatsache. Es ist eine Tatsache, die jedem Schauspieler bewusst sein sollte, denn er muss diszipliniert genug sein, sich nicht von der Rolle mitreissen zu lassen. Wenn der Schauspieler die Rolle, die er spielen soll, nicht beherrscht, sollte er seinen Beruf aufgeben. Das steht ihm als Möglichkeit offen. Aber ist es für dich und mich, für gewöhnliche Menschen, möglich, im Leben keine Rollen anzunehmen?

Im tatsächlichen Leben landen manchmal Rollen bei dir, ohne dass du es bemerkst. Bei deiner Geburt sagt dein Vater: „Es ist ein Sohn!“, während dein Bruder sagt: „Es ist ein Bruder!“. Andere sagen vielleicht: „Ein Enkel ist geboren, ein Cousin“, und so weiter. Ein Wissenschaftler würde vielleicht sagen: „Unsere Population vermehrte sich um ein weiteres Mitglied.“ Bevor du überhaupt richtig denken kannst, bist du schon in Beziehung genommen. Die Geburt selbst ist in Form einer Beziehung. Du wirst in Beziehung geboren, lebst in Beziehungen. Und das heisst, du musst Rollen spielen.

Rollen sind notwendig

Auch wenn du deine Sinne benutzt, kommst du in verschiedene Rollen: Wenn du mit deinen Augen siehst, bist du ein Sehender. Aber hat das „Ich“ Sehen als Attribut oder Qualität? Wenn dem so wäre, dann solltest du immer ohne Unterbrechung sehen. In Wirklichkeit aber bist du manchmal ein Sehender, dann ein Hörender, ein Denkender, ein Gehender, Essender und so weiter. Das „Ich“ bleibt dasselbe. Das „Ich“ nimmt die Rolle des Sehenden, Hörenden usw. ein, aber du bist diese Rollen nicht. Deshalb sagt Lord Krishna in der Bhagavad Gita: „In der Stadt mit den neun Toren ruht er glücklich und tut selbst nichts, noch veranlasst er andere, etwas zu tun.“ 

Der Weise tut Handlungen, ohne sie zu tun, weil da eine Distanz zwischen der Rolle und dem Darsteller der Rolle ist. Es ist keine physische Distanz; die Distanz ist allein im Wissen. Der Weise kennt die wirkliche Identität von „Ich“ und ist sich dessen bewusst, dass er Rollen auf einer Bühne spielt. 

Das „Ich“ bleibt unverändert

Deshalb ist sein Status sehr klar. Der Status, den ich zufällig bekomme, ist eine Rolle, und das „Ich“ ist immer unverändert, was auch immer die Rolle gerade ist. Die Person, die Selbst-Identität besitzt, versteht, dass die Rollen nicht Eigenschaften des Selbst sind. Sehen ist ohne das „Ich“ nicht möglich, aber das „Ich“ ist nicht ausschliesslich ein Sehender. Das ist Tatsache. Und durch diese Einsicht wird mein ganzes Leben zu einem Darstellen von Rollen. Weil ich es nicht vermeiden kann, Rollen zu spielen, habe ich keine Wahl. Aber ich muss auch die Person kennen, die die Rollen spielt. Ich habe keine Wahl, ob ich Rollen spielen möchte, und es bleibt mir auch keine Wahl, mich selbst zu verstehen als das was ich bin. Ich muss wissen, was ich bin, denn wenn ich das „Ich“ nicht kenne, das die Rollen spielt, dann werde ich zu den Rollen. Mein gesamtes Leben wird dadurch zu einer Tragödie. 

Wenn ich die Rolle eines Vaters spiele und ich mir dessen bewusst bin, dass ich diese Rolle spiele, dann wird „Vater“ nur eine Rolle. Ich muss mich nicht ständig an meine Identität erinnern, dass ich nicht die Rolle bin, weil das Wissen um den „Schauspieler“ ständig im Hintergrund präsent ist. Ich muss mich nicht willentlich erinnern. Wenn ich folglich die Rolle eines Vaters in meinem Leben spiele, weiss ich, dass ich eine Rolle spiele, die mit ihrem Skript übereinstimmt, und spiele sie so gut wie es meine Kenntnisse und Fähigkeiten erlauben. Aber niemand hat absolutes Wissen und absolute Fähigkeiten, deshalb tun wir manchmal Dinge, die nicht richtig sind und die vielleicht nicht funktionieren, aber das ist zu verkraften. Wichtig ist, dass ich mir bewusst bin, dass ich eine Rolle spiele, und dass ich nicht selbst zur Rolle werde.

Wenn der Schauspieler zur Rolle wird

Unglücklicherweise gibt es in unserer Erziehung keine Gelegenheit, dieses „Ich“ kennen zu lernen als diese Person, die die Rollen spielt. Direkt von Geburt an spielen wir Rollen als Sohn, Vater, Mutter, Ehemann und so weiter. Aber es gibt keine Gelegenheit, bei der wir wirklich willentlich auf uns selbst schauen können. Wir wissen nicht, wie dieses „Ich“, das die Rollen spielt, ohne jede Rolle aussieht. Wir können es nicht vermeiden, Rollen zu spielen; und da wir die Person nicht kennen, die die Rollen spielt, werden die Rollen zur Person. Auf diese Weise wird für denjenigen, der die Rolle eines Vaters spielt, ohne dass er das „Ich“ kennt, diese Rolle real. Das heisst, er wird zum Vater.

Schauen wir uns einen Vater an, mit einem Sohn, der nach seinem eigenen Gusto aufwächst. Der Vater hat sein Bestmögliches getan, um den Sohn groß zu ziehen. So lange der Sohn in der Schule war, sah es so aus, als würde er die Hoffnungen und Wünsche des Vaters erfüllen. Der Vater hatte gehofft, dass sein Sohn ein Wissenschaftler werden würde. Aber so bald der Sohn aufs College ging, veränderte er sich. Jetzt fährt er nur noch mit dem Motorrad ohne Schalldämpfer herum, und trägt Jeans und Hemd aufgeknöpft. Der Vater ist so enttäuscht, dass jedes Mal, wenn er an seinen Sohn denkt, der Blutdruck in die Höhe schnellt. Der Grund dafür ist, dass der Vater denkt, dass er „Vater“ ist, ein Vater im wirklichen Leben. Der „Vater“ hängt an ihm, auch wenn er mit seiner Frau spricht oder wenn er bei der Arbeit ist. Er bleibt den ganzen Tag über ein verärgerter Vater, und in der Folge ein verärgerter Ehemann, weil er den Sohn nicht aus seinen Gedanken los wird. Der Vater oder der Ehemann ist nicht länger eine Rolle. Die Rolle und die Person sind verschmolzen, sind Eins geworden. Aber was in der Realität da ist, ist eine Person, nicht ein Vater oder ein Ehemann. Der Mann ist Ehemann nur in Beziehung zu seiner Ehefrau, wie auch die Frau nur Ehefrau ist in Beziehung zu ihrem Mann.

Es gibt keine wirkliche Ehefrau und keinen wirklichen Ehemann oder Sohn oder Bruder in der Welt. Es gibt nur Personen, die in unterschiedlichen Situationen verschiedene Rollen spielen. Wenn man das nicht weiss, werden die Rollen zur Person. Die Probleme der Rolle werden zu den Problemen der Person. Und wenn dann die Rolle eines Vaters ein Problem wird, werden alle anderen Rollen auch ein Problem. Wenn er oder sie beispielsweise ein Auto fährt, wird es zu einem Problem, weil er oder sie nicht weiss, dass „Fahrer“ eine Rolle ist – die Person wird zu einem Nervenbündel.

Rollen bringen Herausforderungen

Jede Rolle die ich spiele wird zu einem Problem, weil es keine Rollen oder Situationen gibt, die ohne Probleme sind. Sobald ich eine Nase habe, werde ich auch einen Schnupfen bekommen! Ich kann kein Leben bezogen auf Situationen führen, ohne dass Herausforderungen entstehen, ohne dass Schwierigkeiten auftreten. Tatsächlich ist es so, dass das Leben selbst ein Drama ist, weil jede Rolle die unterschiedlichsten, plötzlich wechselnden Situationen mit sich bringt. Alles scheint zunächst rosarot und wunderschön, und ganz plötzlich, auf einen Schlag, ändert sich alles grundlegend! Plötzlich sind da Blitz und Donner, die Wolken brechen auf und alles ist von Tränen überschwemmt! Die Situation verändert sich, und die Wolken und Tränen machen Platz für Sonne und Sterne. Auf diese Weise ändern sich die Situationen im Leben ständig. 

Das Erfüllen von Rollen ist kein Segeln bei ruhiger See. Tatsächlich macht es auch keinen Spass, dauernd in windstillen Gewässern zu segeln. Segeln ist ein aufregender Sport, weil es Winde gibt, die manchmal günstig sind und manchmal eben nicht. Die Wellen verhalten sich auch nicht immer unterstützend. In solchen Fällen kann es eine Herausforderung sein, ein Boot in eine bestimmte Richtung lenken zu wollen. Aber die Herausforderungen machen das Leben erst interessant.

Stell dir einen Kinofilm vor, ohne Handlung, ohne Aufregung! Er wäre total langweilig. Ähnlich ist es bei den Rollen von Vater oder Mutter, Onkel oder Cousin, Arbeitgeber oder Angestelltem: Man kann sie sich nicht vorstellen ohne Herausforderungen. Ohne herausfordernde Fragen, die nach einer Lösung verlangen, kann man sich auch keinen Denker vorstellen. Auch wirtschaftliche Fragen sind immer herausfordernd. Einen Fahrer kann man sich nicht ohne eine knifflige Verkehrssituation vorstellen. Selbst einen Fussgänger kann man sich nicht ohne die Möglichkeit zu stolpern vorstellen! Das ist der Spass beim Spielen der Rollen. Ein Drama wird zu einem Drama durch ein Muster von ständig wechselnden Spielsituationen. Deshalb sollte man, wenn man schon Rollen spielen muss, vertraut werden mit sich selbst, mit dieser Person, die die Rollen spielt, die frei von den Rollen ist, und die unberührt von den Rollen ist. 

Die Person und die Persönlichkeit

Purusha und Prakriti

Im Sanskrit heisst die Person Purusha. Es ist der Purusha, der die verschiedenen Rollen einnimmt als Sehender, Hörender, Denkender und so weiter. Der Purusha besitzt eine dreifache Kraft namens Prakriti. Die drei Aspekte dieser Kraft sind: Jnana-Shakti, die Fähigkeit zu wissen, einschliesslich Gedächtnis; Iccha-Shakti, die Kraft zu wollen, einschliesslich Wünschen, Zweifeln, Emotion, und  Krya-Shakti, die Kraft zu Handeln einschliesslich Fähigkeiten, Kreativität und so weiter. Diese Prakriti setzt sich zusammen aus dem Verstand, den Wahrnehmungsorganen, der Lebenskraft, den Handlungsorganen und dem physischen Körper. Purusha und Prakriti sind nicht wirklich zwei verschiedene Einheiten. Die Prakriti hat keinen unabhängigen Status, sie ist abhängig vom Purusha, der jedoch wiederum unabhängig von ihr ist.

Der Purusha herrscht über die Prakriti und verfügt über deren dreifache Kraft. Die Kraft zu wissen ermöglicht es uns, Wissen anzusammeln bis an die Grenze unserer Kapazitäten. Mit der Kraft zu wollen, einer unglaublich großen Kraft, können wir eine beliebige Anzahl von Wünschen unterhalten. Und die Kraft zu handeln hilft uns bei der Erfüllung dieser Wünsche. Indem wir diese Kräfte anwenden, nehmen wir Rollen ein als Wissender, als Wollender und als Handelnder. Aber diese Rollen gehören zur Prakriti, während der Purusha von ihnen unabhängig bleibt. Jede Person muss in ihrem Leben Rollen spielen, und deshalb muss sie diese Rollen als solche verstehen und die Person unterschieden davon als die Person. Eine Rolle ist nur dann eine Rolle, wenn die Person dabei vollständig verstanden wird und bewusst bleibt. Dies nennt man Unterscheidung, viveka-jnana, ein Wissen, das mit dem Studium der Shastra wächst. Ohne dieses klare Verständnis der Natur des Purusha werden die Rollen real und die Person ist vergessen. Wenn A zu B wird, wird der Purusha zur Rolle, und die Probleme der Rolle werden zu den Problemen der Person. Dagegen können wir mit einem klaren Verständnis die Herausforderungen der Rolle meistern, ohne dass wir davon betroffen sind.

Wir können also zwei Arten von Problemen identifizieren: Probleme, die sich innerhalb der Rollen auf Gegebenheiten beziehen, und Probleme, die sich in ihrem Kern auf das „Ich“ beziehen. Ein Beispiel für die erste Art von Problemen: Habe ich zu wenig Geld oder Komfort, oder zu wenig andere Mittel, dann kann ich daran arbeiten, diesen Mangel zu beseitigen. Wenn jedoch dieser Mangel an Reichtum mich neidisch macht auf jemanden, der diese Mittel besitzt, ist dies ein Problem der zweiten Kategorie, ein Problem, dessen Kern das „Ich“ ist. Dieses zweite Problem macht mich traurig und frustriert. Und es führt dazu, dass die Kapazitäten, über die ich verfüge, nämlich Wissen, Handlungskompetenz und Fähigkeiten, mir alle nicht zur Verfügung stehen. Sie werden von meiner Eifersucht und all den heftigen Gefühlen überlagert. Meine Reaktionen versperren mir den Zugang zu den Kräften, die ich eigentlich besitze, und mit denen ich normalerweise die Herausforderungen löse. Indem ich reagiere, habe ich mir selbst die Kräfte verweigert, die mir zur Verfügung stünden, um der Situation angemessen und erfolgreich zu begegnen. 

Reaktion ist ein mechanisches Geschehen

Eine Reaktion ist ein Geschehen, das einfach abläuft; es ist keine bewusste Entscheidung. Es bezieht nicht dein Wissen, deinen Status, deine Kultur, dein Alter oder sonst etwas mit ein. Vielleicht hast du in all diesen Bereichen bereits etwas erreicht in deinem Leben, aber wenn diese Fähigkeiten nicht für die Beantwortung einer Situation mit einbezogen werden, ist es so gut als wären sie nicht vorhanden. Ärger ist beispielsweise eine der Reaktionen. Man kann nicht bewusst ärgerlich werden, auch wenn man es noch so sehr versucht. Im besten Falle kannst du vorgeben, ärgerlich zu sein, kannst so tun als ob. Du kannst deine Stimme erheben, ernst schauen und so weiter, aber du bist keine wirklich ärgerliche Person. Sogar dein Sohn kann es merken, dass du nicht wirklich ärgerlich bist! Denn wenn du wirklich ärgerlich bist, wird sich dein Sohn nicht in deiner Nähe blicken lassen. Der Unterschied ist also sogar für ein Kind offensichtlich. Es ist eine Sache, ganz bewusst streng oder ernsthaft zu sein, weil du genau weisst was du tust und warum du es tust, aber es ist etwas ganz anderes, wirklich ärgerlich zu sein, weil dann wirst du dir dessen nicht bewusst sein, was du tust, während du so richtig aufgebracht bist. Es ist wie in der Geschichte mit dem Guru und seinem Schüler: Der Guru wollte sich ausruhen und bat den Schüler, Fliegen und Insekten fern zu halten, während er schlafe. Wie es immer so ist, surrte eine Fliege um die Nase des Guru herum. Erfolglos bemühte sich der Schüler, sie zu vertreiben. Er wurde so ärgerlich, dass er einen großen Stein nahm und die Fliege erschlug, als sie sich auf der Nase des Guru niederliess. Die Fliege starb, aber der Guru wachte auch nie wieder auf!

Wenn also eine Reaktion wie Ärger aufkommt, verschwindet deine ganze Vernunft. Deine ganze Weisheit wird in den Hintergrund gedrängt, und derjenige, der auf die Situation antwortet, ist eine völlig andere Person, eine die vom Ärger kontrolliert ist oder von jeder anderen Emotion, die gerade da ist. Ausserdem ist es nicht möglich, dass du willentlich ärgerlich oder eifersüchtig oder frustriert oder aufgeregt oder traurig bist, so sehr du dich auch bemühst. Du kannst also klar verstehen, dass Reaktionen mechanisch ablaufen. Wenn du vermeiden kannst, dass diese mechanischen Reaktionen passieren, dann bist du in der Lage, auf Situationen angemessen zu reagieren. Es wird dir keine Probleme bereiten, mit den Situationen umzugehen. Das Problem ist aber, dass deine Reaktionen sich in der Regel nicht zügeln lassen. Dein Entschluss, nicht in eine Reaktion zu gehen, bricht immer wieder zusammen.

Rollen zu spielen ist Karma Yoga

Es ist eine große Erleichterung zu wissen, dass der Purusha lediglich eine Rolle spielt und nicht wirklich die Rolle ist. Wenn ich weiss, dass ich „im wirklichen Leben“ nicht der Ehemann bin, und dass ich nur dessen Rolle spiele, dann entlastet es mich von den Problemen der Rolle. Und sobald ich weiss, dass der Ehemann eine Rolle ist, dass die Ehefrau, die Mutter Rollen sind, dann muss ich nichts weiter tun, als diese Rolle nach ihrem jeweiligen Skript zu spielen. Die Baghavad Gita nennt dieses am Skript ausgerichtete Handeln Svakarma. Jede Rolle hat ein Skript, und wenn ich ganz bewusst dem Skript meiner Rolle folge, dann wird mein Leben zu Karma Yoga.

Das Spielen von Rollen ist eine Art, an der Schöpfung Teil zu haben. In der Vision der Veden ist Gott sowohl der Schöpfer als auch die Schöpfung. Er ist sowohl die intelligente oder geistige, als auch die materielle Ursache der Schöpfung. Nachdem er alles erschaffen hat, legt sich Gott nicht schlafen. Er bleibt aktiv, dynamisch, wie die Schöpfung selbst zeigt. Ishvara, der Schöpfergott, wird in seiner Rolle als Schöpfer Brahmaa genannt, in seiner Rolle als Beschützer und Erhalter Vishnu, und in der Rolle des Zerstörers Rudra. Er spielt andauernd alle diese Rollen. In jedem Moment geschieht Schöpfung in dem Sinne, dass neue Dinge entstehen. Genauso gibt es in jedem Moment Erhaltung und Schutz und schliesslich auch Zerstörung, wenn alte Dinge aufgelöst werden, um neuen Platz zu machen. Wenn dieser zyklische Prozess in einer sinnvollen Weise andauert, hält er die Schöpfung in Harmonie. Lass uns beispielsweise mal auf die Zeit schauen: Ein Moment wird geboren, besteht für eine Weile und verschwindet wieder. Welche Zeit verstreicht dabei? Welcher Abstand ist zwischen Entstehen und Erhaltung? Zwischen Erhaltung und Absterben? Die drei Aspekte von Ishvara funktionieren gleichzeitig, er spielt seine Rollen ohne jede Anstrengung.

Purusha und Prakriti

In der Schöpfung bin ich die Person, die mit einem individuellen Körper, Verstand, Sinnen und Handlungsorganen in die Welt hinein geboren ist. Da ich mit all diesen Dingen ausgestattet bin, bin ich wohl nicht nur als ein passiver Betrachter dieser Welt vorgesehen. Warum bin ich mit Gliedmassen und Sinnen ausgestattet? Wenn ich als reiner Beobachter gedacht wäre, hätte ich doch nur einen Kopf und keine weiteren Gliedmassen. Aber das ist nicht der Fall. Ich bin ausgestattet mit den Kräften des Wissens, Wollens und Handelns. Ausserdem sind in der Schöpfung die notwendigen Ressourcen bereit gestellt, um diese Kräfte anzuwenden. Deshalb bin ich vorgesehen als ein aktiver Teilnehmer in der Idee der Schöpfung. Teilnahme heisst, Rollen zu spielen. Der Purusha spielt die Rollen ohne Beteiligung; es ist Prakriti, die im Rollenspiel verwickelt ist. Der Purusha wird zur Grundlage der Rollen, die gespielt werden, bleibt aber selbst unberührt. Die Rollen hinterlassen bei ihm keine Spur. 

Die Rollen nach dem vorgegebenen Skript zu spielen wird Karma Yoga genannt. Du kennst die Skripts, du erfährst sie aus den Schriften oder von denen, die sie kennen. Es gibt keine Probleme, wenn du Rollen spielst. Es gibt in manchen Rollen sogar eine Wahl. Wenn du daher eine bestimmte Rolle schwierig findest, kannst du beschliessen, sie nicht zu spielen oder dir eine andere nach deinen Wünschen aussuchen. Natürlich musst du darauf achten, dass deine Auswahl nicht im Widerspruch zu deinen anderen Rollen steht. Im Leben gibt es meistens keine Wahl. Du wirst geboren als Sohn deiner Eltern; dabei hast du keine Wahl. Dann bekommst du einen Sohn und du wirst zu seinem Vater; jetzt hast du auch keine Wahl, ein Vater zu sein. So gibt es viele Rollen, die du spielen musst, bei denen du keine oder nur begrenzte Wahl hast. Tatsächlich bringen die sogenannten „schwierigen“ Rollen deine Kraft und deine Begabung ans Licht. Das Problem ist nicht die Rolle; es ist deine Annahme, dass du die Rolle bist. Ein Ehemann oder eine Ehefrau zu sein ist nicht das Problem, aber die Person für die Rolle zu halten, das macht es zum Problem.

Reaktionen erschaffen Persönlichkeit

Wenn ich dir sage: „Reagiere nicht“, dann funktioniert das wahrscheinlich nicht. Denn, wie ich schon früher sagte, eine Reaktion ist ein Geschehen, das dich nicht um deine Meinung fragt. Vielleicht reagierst du sogar auf meinen Rat. Jemand kam zu mir und sagte, dass er nicht mehr ärgerlich werden wolle.

„Swamiji, ich werde neuerdings nicht mehr ärgerlich.“
„Das glaube ich nicht.“
„Nein, SwamiJi. Inzwischen werde ich wirklich nicht mehr ärgerlich.“
„Das denke ich nicht, dass das so ist. Ich denke, dass du ärgerlich wirst, sobald eine entsprechende Situation auftaucht.“
„Nein Swamiji, ich werde nicht ärgerlich.“
„Ich bin mir sicher, dass du ärgerlich werden wirst.“

Du kannst dir vorstellen, wie er auf mein hartnäckiges Insistieren antwortete. Seine Stimme hob sich, als er sagte: „Hörst du nicht, was ich sage – ich werde nicht ärgerlich!“
Ich sagte schnell: „Ja, ja, natürlich, du hast recht.“

Ich hörte auf, weil ich nicht wollte, dass er wütend wurde. Bis zu einem gewissen Punkt hatte er sich noch im Griff. Dann zeigte er Anzeichen, dass seine Kontrolle zusammenbrechen würde. Es ist offensichtlich, dass ein guter Vorsatz nicht ausreicht, weil eine Reaktion ein unwillkürliches Geschehen ist. Sie schert sich nicht um deine Erlaubnis. Sie ist unvorhersehbar.

Der Grund dafür ist, dass jede Person auch eine Persönlichkeit ist. Der Purusha ist ein einfaches Wesen, rein, wunderschön und vollkommen. Es ist die Persönlichkeit, die jeder von uns ist, die Probleme schafft. Persönlichkeit ist nichts weiter als eine Ansammlung von eingebauten Reaktionen. 

Während du verschiedene Rollen ausführst, sammeln sich einige Reaktionen an, die du nicht ausdrücken darfst. Schauen wir uns zur Verdeutlichung eine Situation in einem Büro an. Du hast vielleicht einen Chef, der die Freiheit hat zu sagen und zu tun was er will. Er bittet dich, einen Auftrag zu erledigen. Du denkst, dass diese Aufgabe nicht in Ordnung ist, aber du weisst nicht, wie du „nein“ zu ihm sagen kannst. So könnte er sich gekränkt fühlen, weil er seine eigenen psychologischen Schwierigkeiten hat. Wenn es darum geht, dass er Unrecht haben könnte, ist er verletzlich. Er hat da eine Schwachstelle, und wenn du zu sehr darauf herumreitest, dann kann er nicht anders, als zu reagieren. Manchmal musst du ihm natürlich Bescheid geben, wenn du etwas nicht tun kannst, weil du es nicht in Ordnung findest. Dann wird der Chef wütend und belegt dich mit Schimpfworten. Du bist genauso wütend, weil du deine eigenen Schwierigkeiten und Schwachpunkte hast. Der Chef ist aber in einer Position, seinen Ärger auszudrücken zu können, und du nicht. Du musst deinen Ärger runterschlucken, weil du deinen Job nicht verlieren willst. So etwas würde dir zu Hause einige Probleme verursachen. Um des lieben Friedens zu Hause willen schluckst du deinen Ärger runter. Aber wohin kann der gehen? Er kann nirgends hin gehen. In deinem Inneren qualmt er weiter vor sich hin und wird so zum Grundgestein deiner Persönlichkeit.

So schwierig wie die Rolle eines Angestellten im Büro ist auch die Rolle eines Vaters, einer Tochter, einer Mutter und so weiter. Jedes Ausführen von Rollen scheint voller Probleme zu sein. Nicht dass Rollen-Spielen schwieriger geworden wäre, aber man hat weniger Einsicht über sich selbst. Du musst dich von Rolle zu Rolle bewegen, aber wenn jede davon ihre Spuren hinterlässt, werden Rollen durch wieder andere Rollen beeinträchtigt.

Da ist ein Mann, der einen Streit mit seiner Frau gehabt hat. Er stürmt aus dem Haus und haut mit lautem Knall die Türe zu. Schon die Art, wie er die Türe ins Schloss wirft, zeigt, dass der Ehemann immer noch da ist. Obwohl er seine Frau zurückgelassen hat, gibt es ein „hangover“ vom Ehemann, der Ehemann hängt immer noch an ihm. Dem ist so, weil der Ehemann mehr als eine Rolle war. Er ist quasi in die Person hinein gerollt. Sein Ärger hält an und wird sichtbar in der Art und Weise, wie er die Autotür öffnet, wie er den Motor startet, wie er losfährt und schliesslich im Büro ankommt. Der Ehemann ist immer noch da! So überlappt die eine Rolle die nächste, und das Ergebnis ist, dass die unterdrückten Reaktionen sich aufbauen und schließlich als „Persönlichkeit“ kristallisieren. 

Das Ergebnis davon ist, dass jeder eine Persönlichkeit besitzt, die aus übrig gebliebenen Reaktionen besteht wie Wut, Neid, Hass, Frustration und so weiter. Jeder ist deshalb auch verletzlich. Es gibt „Knöpfe“ innerhalb der Persönlichkeit, und wenn einer davon gedrückt wird, geht die Person hoch. Die Ehefrau kennt die Stellen, an denen ihr Mann wütend wird. Sie sorgt sogar dafür, dass die Kinder manche Fragen nicht stellen oder bestimmte Situationen vermeiden. Auf diese Weise ist jeder eine Persönlichkeit, manchmal vorhersehbar, manchmal nicht; und so wird jeder komplex; die einfache Person geht verloren. Solche komplexen Personen machen ein Zuhause dysfunktional.

Die Person ist frei

Die Person ist frei von der Persönlichkeit

Reaktionen sind eine Folge der Verwechslung von Person und Rolle. Wenn du das weisst, kannst du die Person erkennen und die Konfusion auflösen. Dadurch wirst du mit dem Purusha vertraut, mit dem Selbst, dem nicht antwortenden, bloßen Selbst, das die Dinge nicht als gut oder schlecht abstempelt. Du kannst die Natur sehen, den blauen Himmel, die Sterne, die Vögel, die Blumen, und du meinst „oh wie wundervoll!“ Genau dann bist du glücklich, eine erfreute Person. Wenn du innerlich zu beschäftigt bist, ist dein Verstand entweder blockiert oder ruhelos. Dann kannst du Schönheit nicht wertschätzen. Du hast nicht die innere Ruhe, um Schönheit anzuerkennen. Wenn du Schönheit begreifst, indem du sagst „oh wie wundervoll ist das“, dann siehst du die Schönheit in „das“. Aber, wenn du mehr Verständnis entwickelst, erkennst du, dass die Schönheit, die du bewunderst, du selbst bist, das erfreute Selbst. Es ist eine Freude, wenn du Schönheit in einem Objekt findest, aber es wird zur Meditation, wenn du verstehst, dass es die Schönheit des Selbst ist, die du bewunderst. Du bist es; das erfreute Selbst bist du. Indem du dies während jeder erfreulichen Erfahrung erkennst, wird jede dieser Erfahrungen zu Yoga, zur Selbst-Wertschätzung. 

Manchmal gibt es Situationen, die diese stille, wertschätzende Person in dir ans Licht bringen. Die Persönlichkeit mit unzähligen Vorlieben und Abneigungen und Forderungen, die normalerweise hervorkommt und auf die Welt antwortet, wird durch manche überwältigende Situationen zum Schweigen gebracht. Und zwar durch Situationen, die gleichzeitig tiefgründig, beeindruckend und erfreulich sind. Eine andere Person, ein Ereignis, eine Landschaft, sogar ein Witz können bei dir diese wertschätzende Person hervorlocken. Wenn du dich selbst in diesem Glück oder im Geniessen oder in der Stille wahrnimmst, dann ist da Selbst-Wertschätzung, Selbst-Erkenntnis und Selbst-Annahme. Gerade in solchen Momenten hast du eine Chance, eine Gelegenheit, mit dir selbst vertraut zu sein. Auf diese Weise wird man die Reaktionen los, weil es klar wird, dass die Reaktionen nicht zur Person gehören. Sie sind aus der Verwirrung in Bezug auf Person und Rolle entstanden. Wenn diese Unterscheidung stattfinden kann, verlieren die Reaktionen ihr Unterstützungs-System; sie werden zu Waisen.

Persönlichkeit ist falsch

Eine gute Sache an Reaktionen ist, dass sie falsch sind. Du musst hier verstehen, dass die Person real ist, weil sie immer das gleiche präsente, stille, vollständige Wesen ist. Die Persönlichkeit ist falsch, weil sie nicht immer da ist. Im Tiefschlaf oder in Augenblicken der Freude verschwindet die Persönlichkeit, aber die Person bleibt. Die Person ist sogar dann da, wenn die Persönlichkeit auf Situationen reagiert. Es ist die Rolle, die von dir abhängt; du bist unabhängig von der Rolle. Die Rolle ist deshalb weder real noch unreal. Sie ist mithya. Die Handlungen, die aus diesem mithya entspringen, sind nicht davon verschieden; sie sind auch mithya. Handlungen und Reaktionen haben keine Auswirkungen auf die Person. Falls sie aber die Person beeinflussen, dann liegt das an der Verwirrung bezüglich der Person und ihrer Rolle. Dann hast du die Natur der Person noch nicht genau begriffen. Es ist wie bei einem ungepflegten Haus, das schon über längere Zeit vernachlässigt ist. Aber sobald du auf das Selbst schaust, um es zu verstehen, wird dein gesamtes Leben zur Meditation.

Sobald du erkennst, dass Reaktionen falsch sind, bist du aus der Verwirrung um Person und Rolle erlöst. Vielleicht haben sie inzwischen tiefe Spuren in deinem Verstand hinterlassen, aber auch diese eingeprägten Spuren sind falsch. Sie können das „Ich“ nicht treffen, und das tun sie auch tatsächlich nicht. Wenn sie das „Ich“ betreffen würden, könntest du überhaupt nichts wertschätzen. Wenn du eine Blume bewunderst oder du auf den Himmel schaust, einfach so wie er ist, wo können dann noch diese Eindrücke oder samskaras oder vasanas sein?

Das Selbst bleibt immer dasselbe, unberührt von den Reaktionen oder Eindrücken. Es hat nie, zu keiner Zeit, etwas davon angesammelt. Anhaftung, Unreinheit, raga (Wünsche), dvesha (Abneigungen) oder vasanas (Prägungen), nichts davon ist im Selbst. Alles was da ist, ist ein Verstand mit ein paar Erinnerungen. Das ganze Problem besteht aus nichts anderem als aufgebauten Reaktionen, die zu den Rollen gehören. Daher sind sie nur als Rollen wirklich, und nichts weiter. Eine Welle hat keine eigene Wirklichkeit; sie existiert aufgrund von Wasser. Wasser ist satya, wirklich, und die Welle ist mithya, unwahr. Welle ist eine Rolle, die Wasser annimmt. Geburt und Tod einer Welle oder ihre Größe sind so wahr wie die Welle; sie sind mithya. Was zählt ist Wasser. Wasser bleibt gleich, ungeachtet der Wellen, die beim Wasser keinen Eindruck hinterlassen. In ähnlicher Weise hinterlassen die Rollen keine Eindrücke beim Selbst. Ich, Swami, muss im Leben Rollen spielen, ebenso wie du und alle anderen; besser du gewöhnst dich daran, dass das Selbst als die Person von den Rollen frei ist. Das ist Meditation.

Meditation ist eine Verabredung mit dem Selbst

Die Meditation über die ich rede ist diejenige, über die Lord Krishna in der Bhagavad Gita spricht: „Richte den Verstand auf dich selbst und denke an nichts anderes.“

In der Meditation ist es wichtig zu wissen, wer meditiert. Es gibt heutzutage in weiter Verbreitung eine Vielzahl von Meditationen. Manche empfehlen dir, auf deine Nasenspitze zu schauen, andere zwischen die Augenbrauen. Andere schlagen einen Punkt in dir drinnen vor, und so weiter. Aber wer ist derjenige, der meditiert? Wenn man sich um den Meditierenden kümmert, dann kümmert sich die Meditation um sich selbst. Ich würde sagen, Meditation ist eine Verabredung mit dir selbst, nicht mehr. (Du könntest auch sagen, es ist eine Verabredung mit Gott, die zu einer Verabredung mit dir selbst wird, das macht keinen Unterschied.) Bei einer Verabredung mit dir selbst musst du frei sein von allen Rollen. Du musst A sein, während die Rollen B, C, D und so weiter von dir verschieden sind. Normalerweise hältst du dich für die Rollen, und übersiehst die Person A, oder bist dir ihrer unbewusst. Deshalb heisst Meditation, sich einfach an die Lehre der Shastra zu halten. Du solltest wissen, was A ist, ohne B, C oder D zu werden, auch während du die Rollen von B, C oder D spielst. 

In der Regel reagierst du in den Rollen. Deswegen sind alle Rollen eingebettet in die Persönlichkeit, die zu einem Reaktor geworden ist, einem qualmenden Reaktor. Die Reaktionen überwältigen die Person. Sobald du aber lernst, du selbst zu sein, indem du alle Rollen abschüttelst, dann ist diese Meditation die höchste Handlung. Du bist dir selbst als Person bewusst. Das ist als Tatsache sehr wichtig, denn du gibst den in die Person eingebetteten Vater, die Mutter, Tochter, Ehefrau, sie alle gibst du auf. Und dann sind die drei Kräfte, die Kraft zu wissen, die Kraft zu wollen, und die Kraft zu handeln, alle zu deiner Verfügung. Meditation ist deshalb als wiederholte Übung sehr, sehr nötig.

Meditation

Du sitzt in einer entspannten Position. Schließe deine Augen und sei einfach du selbst.
Sei du selbst, frei von Rollen
Stell dir den blauen Himmel vor…
Berge, Bäume, Flüsse…
Möchtest du, dass der Himmel in irgendeiner Weise anders sein soll?
Nein.
Wenn du den blauen Himmel wertschätzt, bist du eine nicht-fordernde Person.
Schau auf dich selbst.
Wie bewunderungswürdig du bist
Ganz erfreut mit dem Selbst, das die Person ist, die du bist
Aufmerksam und bewusst
Denke an die Sterne…
Den Himmel übersät von Sternen…
Dann schau nochmal auf dich
Denke an Berge…
An Wolken…
Die aufgehende Sonne…
Die untergehende Sonne…
Das Meer…
Stell dir Bäume vor…
Blumen
Voll erblühte Blumen auf den Büschen…
Schau auf die Vögel
Die freien Vögel am Himmel…
Wie sie fliegen
Stell sie dir einfach vor, visualisiere sie im Geiste
Jetzt schau auf dich selbst
Wie geht es dir?
Du bist eine einfache… erfreute… bewusste Person.
Du bist du selbst
Nicht-fordernd…
Ohne Vorlieben und Abneigungen.
Während du du selbst bist,
Bist du vertraut mit dieser nicht-fordernden Person.
Jetzt visualisiere Situationen,
Die normalerweise Reaktionen in dir auslösen…
Reaktionen im Sinne von einem Handlungsbedarf, der getriggert wird)
Als du die Sterne, den Himmel, Bäume visualisiert hast,
Haben sie keinerlei Reaktion in dir ausgelöst…
Und jetzt stelle dir Situationen vor,
In denen du normalerweise mechanisch reagierst…
Stell dir vor, da ist eine Person vor dir,
die dich tief verletzt hat…
Oder denk dir, dass das Schicksal
Dir irgendetwas geraubt hat…
Oder dich von irgendetwas getrennt hat…
Oder dass der Tod jemanden
Von dir weggenommen hat…
Schau auf diese Situationen
Auf die du automatisch reagiert hast…
Mit Traurigkeit, Wut und so weiter…
Meditation bedeutet, auf diese Situationen
Mit der selben Person zu schauen
Die mit dem Himmel war…
Die die Sterne wertgeschätzt hat…
Den Himmel…
Die Berge…
Die Flüsse…
Die nicht-fordernde
Wertschätzende Person
Versuche, diese Person
Sich von diesen Situationen berühren zu lassen
Die normalerweise die automatischen Reaktionen in dir hervorrufen.
Schau auf die Situationen,
Egal wie schwerwiegend oder ernst sie sind.
Wenn eine Situation
eine angemessene Antwort von dir braucht…
Wenn sie Veränderung braucht…
Dann tu alles was getan werden muss…
Führ die Veränderung herbei
die die Situation
leichter oder komfortabler für dich macht.
Es braucht keine mechanische Reaktion,
sondern dein aktives Handeln.
In Meditation
Schaust du auf dich selbst
in einer Situation
die du dir wünschst…
Du möchtest, dass etwas eintrifft…
Und du schaust auf dich selbst
in einer Situation, die dir nicht gefällt…
Von der du möchtest, dass du sie los wirst.
Und in Bezug auf diese Situationen
siehst du dich selbst als die erfreute…
die nicht-fordernde Person
Alle diese überkommenen, eingebetteten Reaktionen
verschwinden
weil sie falsch sind.
Die Reaktionen haben keinen eigenen Status
Wenn du Wünsche hast…
Lass sie sein
Vielleicht ist da das Unterbewusstsein…
Das Unbewusste…
Lass sie sein
Du bist nur diese einfache Person
Die frei ist…
In ihrem Wesen frei von jedem Gebrechen
Das bist du
Du musst nichts tun, um du selbst zu sein
Feuer braucht nichts tun, um heiss zu sein
Du brauchst nichts tun, um du selbst zu sein
Du bist nur ein einfaches, bewusstes Wesen
Dieses Bewusstsein deiner selbst
in jeder Situation…
nimmt die zahlreichen sturen Reaktionen weg,
die eine Persönlichkeit ausmachen
Du bist nur eine Person
Eine Person ist immer eine Person
die Verabredungen einhalten muss…
Rollen spielen muss…
Skripts, denen sie folgen muss…
Es ist sehr einfach
Und das ist Handeln, Aktion.
Die Persönlichkeit
wird von den Reaktionen erschaffen.
Wogegen die Person
immer handelt.

Om Tat Sat

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